Eine Annäherung an die Arbeit von Christiane Schlosser

Christiane Schlosser, Jahrgang 1960, ist eine bildende Künstlerin. Sie und ihre Arbeiten habe ich 2002 in einer Ausstellung in dem Privathaus von Rudolf Springer kennengelernt. Sie war von 1982 bis 1986 Schülerin von Georg Baselitz beziehungsweise seiner Assistentin Christa Dichgans. Was beide, Christa Dichgans und sie verbindet, sie malen genau, langsam und sind ernsthaft bei der Sache. Aber was malt Christiane Schlosser genau? Damals malte sie Himmel mit ziehenden Vögeln, so sah es aus.

Ich komme aus dem Rheinland, da sammeln sich Anfang September die Schwalben für ihren Abflug in den Süden. Da waren hunderte Schwalben in riesigen Schwärmen am Himmel und sie zogen immer wieder hin und her und die Formationen wurden groß und größer und genau so sahen diese Bilder von Christiane Schlosser aus, kontemplativ. Dabei ging es ihr technisch um etwas Anderes, diese optischen Vögel, waren in Wahrheit Lücken auf der Leinwand. Ihre Bilder hatten unterschiedliche Größen, unterschiedlich blaue Hintergründe mit hunderten ummalter Vogelscharen auf dunklem Grund am blauem Himmel.Es gab auch ummalte Vogelschwärme auf weißem Grund bei blauem Himmel, aber auf einem anderen Bild. Was heißt hier um-malt? Die Vogelform ist der eigentliche Hintergrund, sie ist Freifläche, Lücke. Sie malte den Himmel um die Vögel. Die Form ist eigentlich Hintergrund und tritt bei dieser Malweise optisch stark hervor. Für den Betrachter sind nun die Vögel unter dem Himmel. Diese so entstandenen Formationen sahen alle unterschiedlich aus, die Vögel wirken grob gesehen alle gleich und doch ist jeder Vogel von ihr extra ganz genau um-malt und dadurch waren die kleinen Um-Malungen aus freier Hand eben auch sehr unterschiedlich und das war dann bei genauer Betrachtung doch zu sehen. Die Freilassungen sind nur die leere Form.

Man stelle sich vor, sie um-malt auf einer Leinwand hunderte Fussel und nach Fertigstellung flattern hunderte Vögel optisch am Firmament. Dadurch lebte das Bild, hatte Bewegung und strahlte gleichzeitig eine Ruhe aus, wie der Himmel. Aber sie hat auch Zeichnungen mit hunderten winzigen Vögeln am Himmel in unterschiedlicher Technik gemacht. Aus dieser Visualisierung hat sich immer mehr und anderes Neues für sie entwickelt. Je einfacher umso besser. Bei der Betrachtung kam ich in eine ähnliche Stimmung, wie beim Blick in den Himmel. Ich sehe gerne in den Himmel und denke dann an nichts, schaue nur und bin ganz entspannt, gelassen und erwarte nichts. Diese Vogelschwärme waren übrigens ihre letzten gegenständlichen Arbeiten.

Interessant ist, je höher die Vögel am Himmel zu sehen sind, desto abstrakter werden sie, bis sie nur noch ein Punkt sind. Vor den Vogelbildern gab es bei Christiane Schlosser Motive wie Pinguine, Möhren, Elefanten, Enten, Hasen, die sie zu abstrakten Flächen, jeweils einzeln aneinandergereiht, zu einem Muster machte. Es ging ihr wohl schon immer um die Reduzierung. Wer Pinguine und Möhren wählt, auf Bildelemente reduziert und daraus langsam die ganze Bildfläche seriell gestaltet muss Humor haben. Es gibt von ihr Pinguin-Bilder, Öl auf Leinwand, die aussehen als sei der Betrachter auf einem Schiff und näherte sich langsam dem Südpol.

Bei langsamer Fahrtgeschwindigkeit sind erst nur schwarze Punkte in der weißen Schneefläche im Fernglas zu sehen. Beim Näherkommen wird eine abgeschlossene Fläche voller aufrecht stehender Pinguine erkennbar. Aus Punkten und Linien wird im Auge des Betrachters die Figur des Pinguins in der Ferne sichtbar und da steht natürlich nicht nur ein Pinguin, sondern da sind hunderte irgendwie bei einander. So sehen einige Bilder von ihr aus, einfach originell, bezaubernd. Bei den Möhrenbildern spielt Farbe, Orange und Gelb eine Rolle und die Lagerichtung der Möhre. Ihre Möhrenbilder werden zu flächigen Feldbildern. Dabei interessiert sie weder das Tier noch die Pflanze, sondern nur das Spiel mit der vereinfachten Form.

Jetzt lässt Christiane Schlosser keine Vögel am Himmel mehr erscheinen, sie ist noch minimalistischer, noch reduzierter geworden. Überhaupt macht sie derzeit am liebsten Papierarbeiten mit Tusche, auch mit Bleistift. Kleine Striche zeichnet oder malt sie, wie Buchstaben, jeden einzelnen Strich ordentlich gesetzt in Reih und Glied, nicht zwanghaft perfekt oder streng, sondern aus der ruhigen Hand, langsam. Ein Strich ist wie ein Atemzug, einer nach dem anderen, dicht an dicht. Es gibt Blätter mit vertikalen kleinen Strichen oder auch kurze, horizontale Linien neben einander, jede Linie extra. Senkrechte, wie waagerechte Linien werden mit ihren beabsichtigten kleinen Lücken im Rhythmus unterbrochen, nach etwas längerem Atem. Diese Lücken können helle Stellen sein, wenn der Hintergrund hell ist, oder wie mit einem Abgrenzungsstrich eine optische Irritation darstellen. Ihre Blätter sind immer nahezu randvoll in der anfangs oben links beginnend angelegten Struktur. Sie malt oder zeichnet, sie variiert ihre Arbeitstechnik unwesentlich für den Betrachter. Bei der konkreten Arbeit ist das erheblich. Sie führt ihre Arbeitsweise konzentriert, bedächtig aus, an nichts anderes denkend, als an ihren zeichnenden Moment. Sie entwickelt den Rhythmus im Machen zu Beginn und bleibt dann im Arbeitsprozess auf dem ganzen Blatt gleich. Dieselbe Vorgehensweise kann sie mit kleinen Häkchen, Kringeln, Punkten oder Punktkombinationen ordnend gestalten. Immer ist alles klein, ja, winzig, zart und elementar. Wenn sie mit kräftig roter oder blauer Tusche Linien malt, treten die Auslassungen optisch stärker in den Vordergrund. Das macht das vermeintlich Monochrome lebendig. Sie malt eben nicht mechanisch, flink, sondern geduldig, sie bleibt bei jedem Kringel am Kringel präsent. Da ist kein Bluff, jeder Strich jeder Punkt ist gleich und doch individuell, weil einzeln auf das Blatt gesetzt.

Dann schafft sie mit ihrem Stift einen ganz hauchdünnen zarten Strich, der auf dem Papier fast nicht zu erkennen ist und doch ist das ganze Blatt danach durchkomponiert, Punkt für Punkt oder Strich für Strich, wie jede Note in der Partitur festgehalten wird. So gibt es kräftigere und hauchzarte, sehr feine, fast weiße Blätter, auf denen wirklich nur ein Hauch zu erkennen ist, eine wahrhaftige Ahnung, von weitem sieht es einfach blanco aus und doch ist das Bild ganz genau gezeichnet. Und wenn man direkt drauf schaut, ist es keine monochrome Fläche, sondern hat in sich eine geschlossene Beweglichkeit. Man muss schon genau hinsehen, ihre Bilder sind nicht im Vorbeigehen zu erfassen.

Sie macht auch Bilder mit verschlungenen Linien, entweder in variierenden, leicht kantigen Mustern oder auch zwei Linien parallel als Verschlingung. Das ganze Blatt wird dann zu einer einzigen engen Verschlingung, so als blicke man von oben auf ein aufgeriffeltes Knäuel und sucht verzweifelt den Anfang.

Alles ist zeitintensive, gründliche Sisyphusarbeit. Christiane Schlosser ist mit großer Genauigkeit bei der Arbeit und plötzlich kleckst sie mit ihrer Tusche als letztes auf ein großes ausgemaltes Format. Ein Schreckmoment! Früher hielt sie das für eine Katastrophe, das Blatt galt ruiniert, wochenlang stundenlang geduldiges Malen und dann so etwas. Heute kann sie das Missgeschick zulassen und sieht darin sogar eine ästhetische Unterbrechung, eine unbeabsichtigte Pointe.

Die Bilder werden zurückhaltend zarte, ästhetisch geschmeidige Flächen, an denen wahrscheinlich die meisten Betrachter vorbeigehen. Christiane Schlosser macht feine, ja filigrane Bilder, gerne auch große Formate, die den Betrachter nicht einfangen. Der Betrachter muss sich das Bild ohne Idee vornehmen. Da kommt nichts entgegen, vielleicht noch die Blätter mit farbig kräftigen Linien. Man muss sich für diese Bilder entscheiden, sich dann darauf vorurteilsfrei einlassen und nichts erwarten. Ihre Bilder sind auch ästhetisch dekorativ, aber eben zurückhaltend, zart in Form und Farbe. Selbst bei den kräftigen Farbbildern ist die Wirkung nie laut. 

Was passiert, wenn man sich auf ihre Bilder einlässt? Sie wirken wie Meditation, wie in den Himmel schauen und der Bewegung folgen, sie füllen den Betrachter mit der vermeintlichen Leere charmant an. Man kann Linien nachgehen und Punkte fixieren, sich darin betrachtend verlieren und wird ruhig, besonnen und unterbricht den gewohnten Gedankengang. Hier geht es nicht um das übliche Verstehenwollen, sondern um das Einlassen. Der Anblick ihrer Bilder ist eine völlig andere Art Kunst zu betrachten, zu erleben, sie wahrzunehmen und davon bereichert zu werden. Die Betrachterin wird indirekt eingeladen einzusteigen in eine andere, unvertraute Lesart, die sanfte Stimmung macht. Diese Bilder sind wohltuende optische Wiesen, die Zauber auslösen können und auf sanfte Weise der Seele in der Betrachtung gut tun. Es sind freundliche und charmant tief greifende Stimmungsaufheller, die dies mit Klarheit und Struktur auf einfache Weise vorführen. Nichts zu suchen, ist hier der Sinn.

Diese Bilder verändern die Sehgewohnheiten und das Kunstverständnis, mich irritierten sie zunächst etwas wegen ihrer Fremdheit. Dabei macht die Künstlerin ja wirklich nichts Fremdes, sondern geht mit ganz vertrauten Strichen, Linien, Häkchen, Kringeln und Punkten konsequent anders um. 

Christiane Schlosser schafft ungewohnte, völlig abstrakte Bildflächen mit einfachsten Zeichen, die sie in sensibler Manier mit den Anfängen der Bildgestaltung und Musterung der Menschheit verknüpft und gibt ihnen einen ästhetisch zeitlosen Rahmen. Ihre Blätter sind hohe Kunst. Da gibt es außer dem möglichen Klecks keinen Zufall, alles ist haargenau gesetzt und diese indirekte entstandene Bewegung, Lebendigkeit macht etwas mit dem Betrachter. Mich lässt diese kontemplative Ausstrahlung nicht los. Christiane Schlosser lässt den Betrachter mit dem Bild alleine, sie muss nichts von ihm hören, sondern möchte ihm bestenfalls eine ruhige Gefühlsbewegung schenken. In der längeren Betrachtung baut sich ein individuelles Eigenleben ihrer bemalten Fläche auf und nimmt Einfluss auf die Stimmung.

Sie zeichnet, malt keine Romane, sondern schafft optisch Lyrik, vielleicht sogar Haikus im großen Format; musikalisch macht sie mit Urklängen vielleicht gregorianische Gesänge, weltliche Oratorien. Wie ein Veilchen, wegen des Verstecks.

Wenn bei Christa Dichgans Gegenstände des täglichen Gebrauchs im Bild ganz realistisch über, auf und durcheinander gehäuft wurden, hat Christiane Schlosser minimalistische Symbolzeichen, die sie je Bild einzeln aneinander reiht und zur malerisch poetischen Fläche werden lässt. In ihrer Genauigkeit und Direktheit sind sich die Malerinnen ähnlich, beide flirten bei der Arbeit nicht mit dem Betrachter und liebäugeln auch nicht heimlich mit dem Kunstmarkt. Christa Dichgans sagte, dass ein Bild nicht schön sein darf. Für Christiane Schlosser ist das keine Kategorie, sie will nicht gefallen. Bei ihrer Arbeit denkt sie nicht an das Publikum, das war bei Christa Dichgans ähnlich.

Beide Künstlerinnen machen das, was sich aus ihrem Inneren meldet, was sie optisch beschäftigt. Sie sind beide ohne Vorbild und Modelle. Natürlich freut sich Christiane Schlosser, wenn es Menschen gibt, die diese Blätter mögen und erkennen, wie sie arbeitet. Ihre Präzision geschieht in der Langsamkeit, die sie vermittelt. Diese Langsamkeit schenkt dem Betrachter die Voraussetzung für eine Meditation und punktgenaue Konzentration, die in unserem heutigen Lebensalltag fremd geworden oder gar verloren gegangen zu sein scheint. Die Künstlerin gibt dem Betrachter die Möglichkeit in der Bildbesinnung in der Entschleunigung diese punktgenaue Konzentration wieder erleben zu können.

Die Künstlerin wurde einmal aufgefordert, zum besseren Verständnis etwas über ihre Arbeitsweise aufzuschreiben. Das wollte sie zunächst nicht, hat dann aber angefangen, Gedanken auf einem großen Bogen Papier festzuhalten. Daraus wurde ein Faltblatt, auf dem sie assoziativ Gedanken und Überlegungen, wie auf einem unorthodoxen großen Zettel, notiert hat. Sie hat ihre Gedanken zusammengetragen, sie hat sich dabei selbst etwas erklärt und mit vielen Zitaten bekräftigt. Zum Beispiel „keine Idee“, Zeile darunter ein Pfeil, dann steht da „Ruhe“. Wieder ein Pfeil „ein Rad, das aus sich selbst rollt“; dann untereinander Schlagworte „Raster, Orientierung, Sicherheit, Möglichkeiten, abzuweichen”. Das Wort „Verbindung“ ist umkreist. Es gibt auf dem Papier unterschiedliche unbeabsichtigte Tuschetropfen, dann zitiert sie:

„der chinesische Maler muss sich in einem inneren Zustand der Entleerung, der inneren Disponibilität und Konzentration begeben, er muss sich von jeder zielorientierten Darstellungsintuition befreien, um sich geistig ‘frei’ durch das Konkrete bewegen zu können und es ‘kommunizierend-operierend zu halten’. Dann gelingt der alles entscheidende erste Strich, der in seiner Vollkommenheit alle möglichen weiteren Striche enthält, wie von selbst.”

Dahinter steht: Christiane Tauber/ In der Schwebe der Möglichkeiten, darunter über François Jullien: “Das große Bild hat keine Form…”. Da ist ein Sternchen mit Kugelschreiber drüber und da hat sie eine drei vermerkt. Und plötzlich liest man das Wort „üben“ und darunter steht „sich fügen“.

Alles ist mit der Hand geschrieben, mal Schreibschrift, bei kurzen Texten, bei einzelnen Worten wählt sie Druckbuchstaben, nicht besonders, vielleicht sogar liederlich. Das Blatt dürfte etwa DIN-A1 groß sein, auf der Rückseite ist eine zart farbige Punktarbeit auf der ganzen Fläche gedruckt. Es ist auf DIN-A4 gefaltet.

Ihre kleinen Texte sind Überlegungen und Zitate, dann wieder kurze Arbeitsanleitungen für sich selbst. Diese Aufzeichnungen sind ohne Struktur locker auf dem Papierbogen verteilt, assoziativ, willkürlich zusammengetragen. Dieses Faltblatt ist formal völlig strukturlos ohne Reihenfolge oder Prinzipien. Da hat sie eine Überlegung quer, eine andere kopfüber geschrieben, so, als habe der große Bogen auf dem Tisch gelegen und sie habe von allen Seiten Einfälle in Deutsch oder Englisch darauf notiert. Nicht an einem Tag, sondern nach einer längeren Gedankenphase. Sie hat einfach zusammengetragen, was ihr so eingefallen ist zu ihrer Art zu arbeiten und zum Ergebnis, so sieht es aus. Es gibt auch mal einen Rand von einem Wasserglas mittendrin, der sicherlich nicht beabsichtigt war. Sie hat also nur gedanklich geordnet, nicht wie sonst fein säuberlich malend oder zeichnerisch festgehalten. Ein großer Denkzettel, der nur inhaltlich gründlich ist.

Auf dieses Faltblatt muss man sich einlassen, es gibt keinen längeren Text, der ihre Gedankenketten verständlich macht, die Verbindungen zwischen einzelnen Gedanken muss sich die Leserin selbst erarbeiten. Das ist ihre Art der Einführung in ihre Arbeit. Wieder überlässt sie die Betrachterin sich selbst. Ob sie fündig wird, ist ihre Sache.

Auf Texte über asiatisch-meditative Denkweisen, wie von François Jullien, ist sie wohl eher zufällig gestoßen. Jullien ist ein französischer Philosoph und Sinologe, ein Zeitgenosse, der das fremde Denken in Europa verständlich zu machen versuchte. Er studierte in China Philosophie und damit wurde ihm Weisheit wichtiger als Wahrheit. Nach Jullien recherchierte sie weiter und entdeckte unter anderem Huang Binhong (1864 bis 1955), einen bedeutenden chinesischen Maler, der schrieb:

„Eine Linie besteht aus Punkten, jeder dieser Punkte hat seine eigene Existenz; er verspricht vielfache Verwandlungen. Einen Punkt zu setzen, heißt, einen Samen aussäen, letzterer muss austreiben und wachsen. Auch um einen Punkt zu machen, bedarf es der Leere inmitten des Vollen. Nur dann kann der Punkt so lebendig werden, als sei er vom Geist beseelt.“

Diese Sichtweise auf Malerei hatte sie längst verinnerlicht und optisch umgesetzt, lange bevor sie diese Literatur entdeckte. Durch sie wurde ihr klarer, was sie da malend, zeichnend machte. Eine andere Art zu Denken bedarf einer anderen Mal- und Zeichentechnik.

Bei Museumsbesuchen gehen wir oft an Bildern vorbei, die die Seele fotografiert. Eine Kunstattraktion jagt die andere. Anschließend gehen wir Kaffee trinken und atmen durch. Da ist Schnelligkeit im Erfassen von Kunst eine Qualität, auch in der künstlerischen Arbeit. Das mag mit den Impressionisten angefangen haben, die, unter freiem Himmel optische Momente in Stimmung versetzt, festgehalten haben und sich beeilen mussten, weil jeder Moment andere Lichtverhältnisse bot. Ich denke an Emil Nolde, der immer wieder die Nordsee mit dem wechselnden Himmel malte und sich beeilen musste, um möglichst genau zu sein.

Der schnelle Blick geht bei Christiane Schlosser wie bei den Arbeiten von Christa Dichgans nicht. Sie malen beide – auch wenn die Sujets völlig andere sind – aus ihrem innersten Selbstverständnis heraus. Sie setzen nicht die Außenwelt in ihre bildnerischen Fähig- und Fertigkeiten um. Ihre Auffassung von Kunst ist ganz persönlich und hat mit ihrer Gründlichkeit, Genauigkeit und Langsamkeit zu tun. Während Christa Dichgans malte, was in ihrem Zimmer zu sehen war, reduziert Christiane Schlosser ihre Sujets auf minimalistische Urelemente. Während die europäische Kultur gerne das Fremde entdeckte, analysierte und bewertete, war die chinesische Kultur mehr am Konkreten, an der Praxis, an der Übung, an der Gemeinsamkeit und am Gewöhnlichen interessiert. Das trifft für die beiden Künstlerinnen in gewisser Weise auch zu. Sie lassen auch das Schöne hinter sich, um das Alltägliche, beide auf andere Weise, zu präsentieren.

Christiane Schlosser möchte sich mit ihren Arbeiten nicht hervortun, nicht sich selbst zeigen, sondern sie gewährt bildnerisch Einblick in ihr künstlerisches Ordnungsprinzip, sie vertritt eine hierzulande fremdartige Idee des Schönen.

Ich bin beiden Künstlerinnen dankbar, dass sie mich fordern bedächtig und gründlicher auf ihre Arbeiten zu schauen.

Angelika Bütow

September 2021