Keine Linie gleicht der anderen. Jedes Zeichen ist individuell gesetzt und steht für sich.
Richtungswechsel sind wegweisend. Frei gehaltene Lücken füllen sich mit Grund, der strahlend hell aus den dicht an dicht laufenden parallelen Linien aus fließend tiefem Blau hervorblitzt und von einer Vielzahl an Entscheidungen im unendlichen Universum der Möglichkeiten erzählt.
Alles zeitigt Bewegung: leise pulsierend und fortdauernd folgen die Linien einer einmal gefassten Idee – linksrum, rechtsrum, mit Pausen, durchlässig, immer wieder offen und doch zielgerichtet füllen sie das Blatt ganz einfach von oben links nach unten rechts.
Mit ihren Zeichnungen ermisst Christiane Schlosser Raum, umfassend und ausschnitthaft, in fein und reich differenzierter Parallelität, mit flexiblen Rundungen im all over eines losen Miteinander oder mit kleinsten kraftvollen (Wider)haken, die in jedwede Richtung weisen können, sich weit öffnen oder eng zu schließen vermögen, um am Ende als weitgespanntes Feld singulärer und doch immer gleich gültiger skripturaler Markierungen jene Distanz zu ermöglichen, die die Linie zum Punkt und die Zeichnung zum flirrenden Impuls konzentrierter Wahrnehmung macht.
Einfach „Große Pause“ nennt die Künstlerin eine Reihung von drei großformatigen Blättern, die sich zu einem luftig filigranen Panorama von knapp 4 Metern zusammensetzen, das nur annähernd umfassend im Zusammenspiel aus Nähe und Ferne sowie neugierig prüfenden Innehalten zu erfahren ist. Scheinbar leichthändig schärfen diese Zeichnungen die Sinne, indem sie Sehen und Denken verbinden und im Innehalten erfahrbar machen, was zu sehen ist und in den Zwischenräumen mitwirkt.
Hier, wie in allen ihren Zeichnungen, zeigt sich, welches Potenzial im einmal erdachten Ausgangsimpuls steckt und Linie um Linie, Blatt um Blatt und mit der gewählten Farbe zu so nie gesehenen Erfindungen führt, die immer neu Staunen machen. Mit kompromissloser Konzentration, Energie, Lebendigkeit, Zartheit oder Sprödigkeit lässt jedes Blatt einer einmal gefassten Idee ihren Lauf. Mit der ihr eigenen Ordnung, dem ihr eigenen Rhythmus und den damit einhergehenden Entscheidungen führen die Zeichnungen von Christiane Schlosser in Denkräume – gehalten von feinsten umfassenden Strukturen, deren große Stärke die Offenheit ist, mit der sie der Welt ihr eigenes ordnendes System entgegensetzen – parallel der Natur als fortwährender Kreislauf mit eigenem Rhythmus.
Dr. Birgit Möckel
im Katalog „Christiane Schlosser – Zeichnungen“ 2018