System und freier Wille

Christiane Schlosser untersucht die Verbindung zwischen Tun und Nichtstun

Wir können durchaus von dem weiten Begriff des Ornaments ausgehen – in dem Sinne nämlich, dass einfach durch dauerndes Fortschreiben und Wiederholen von unterschiedlichen Zeichen eine Fläche bewältigt wird. An der Fassade des Institutsgebäudes der Geowissenschaften der Universität Trier ist es eine recht freie, und im Unterschied zu Schlossers anderen Werken, eine fast ironisch gemeinte Zeichnung. Mit einem Augenzwinkern kann man sogar einen rauchenden Gedanken assoziieren, oder wenigstens ein barockes Schmuckelement, das hier die schlichte und funktionale Architektur des Gebäudes konterkariert. Das leuchtende Orange setzt den Kringel – so auch der Titel – von der neutralen Fassade ab, lässt ihn förmlich pulsieren und, wie einen Gordischen Knoten, den es zu lösen gilt, im freien Raum umherschweben.

Demgegenüber kann man die Zeichnungen, die Schlosser auf zum Teil riesigen Formaten anlegt, und die demnächst in der Frankfurter Galerie Olschewski&Behm zu sehen sein werden, als ziemlich rational, ja kontrolliert charakterisieren. In einer ganzen Reihe dieser schlichten Arbeiten folgen Linien auf Linien und füllen so akribisch ausgeführt das ganze Blatt mit horizontalen Bleistiftzeilen. Eine dieser Zeichnungen heißt „3 Entscheidungen pro Zeile“, die andere „1 Entscheidung pro Zeile“. Was zunächst als automatisch verabfolgte Handlung erscheint, markiert im Grunde den zentralen Punkt künstlerischer Arbeit überhaupt: sich selbst eine Konzeption auferlegen, die zur Handlung animiert, gleichzeitig aber prüfen, inwieweit der Moment des subjektiven Entschlusses im Prozess des Fortschreibens funktioniert und so dem jeweiligen Werk einen eigenen Charakter gibt.

Christiane Schlossers Zeichnungen und auch ihre farbigen Leinwandarbeiten markieren also immer eine tragende Idee, die durch eine Entscheidung (an welcher Stelle des Blattes setze ich den Stift ab?) geprägt ist. Hier finden sich ganz archaische Ansätze, wie die der Zeichensetzung des Schreibens, ja auch des Schmückens wieder. Da sind rhythmische Linien, die sich mäandernd übers Blatt ausbreiten. Oder aber Linien in Form unendlicher Schlaufen, die weder Anfang noch Ende haben, und so den Zeitaspekt nicht als einen linearen umreißen, sondern ihn wiederkehrend und zyklisch fassen. Vor allem der Aspekt der Zeit jedoch, verknüpft Schlossers Arbeiten mit der Konzeptkunst der 1960er-Jahre, die Prozess und Handlung auf der visuellen Ebene untersuchte und dabei oft die persönliche Handschrift weitgehend zurückdrängt, um nur noch die abstrakte Organisation der Fläche sichtbar zu machen. Christiane Schlosser kontrolliert zwar ihre Hand, aber sie negiert sie nicht. Nie wirken ihre Zeichnungen maschinell oder kalt. Sie hält die Balance zwischen Person und Konzeption. Wohl deshalb hält man sich die Arbeiten gern vor Augen, wie eben einen handschriftlichen Brief, der ja auch in vereinbarten Lettern eine persönliche Botschaft bereit hält.

Grit Weber
in art kaleidoscope 2009
anlässlich einer Ausstellung in der Galerie Olschewski & Behm, Frankfurt/Main 2009